Die Kurzgeschichte „Das Dienstmädchen im Hause Donnerberg“ entstand als 3. Einsendeaufgabe für meinen Schreibkurs und ist inspiriert durch ein Verbrechen, dass sich in der Hasestraße in Osnabrück am 31. März 1870 ereignete. Die Zeitungsartikel, die ich zu dieser Tat gefunden habe, sind am Ende der Kurzgeschichte angehängt. Was damals genau geschah, ist unbekannt. Alles was sich nicht den Zeitungsartikeln entnehmen lässt, entstammt allein meiner Phantasie. Neben dem Kriminalfall habe ich einiges zum Leben der damaligen Dienstmädchen recherchiert. Die Ergebnisse dieser Recherche sind Teil dieser Kurzgeschichte.
Das Dienstmädchen im Hause Donnerberg
Es war 22 Uhr. Der Tag neigte sich dem Ende zu. Anna saß auf einem harten, unbequemen Holzstuhl in der Küche. Heute spürte sie jedoch nichts als den Schmerz in ihren Handgelenken und Knien. Es war ein besonders langer, harter Tag gewesen, der bereits um 3 Uhr in der Früh begonnen hatte. Donnerstags muss sie die Kinder versorgen, die tägliche Hausarbeit und die Einkäufe erledigen. Für heute hatte ihre Dienstherrin ihr zusätzlich das Schrubben der Böden abverlangt. Anna Roth war auf einem Hof großgeworden und kannte es, schwer zu arbeiten. Doch die Arbeit als Dienstmädchen bei der Kaufmannsfamilie Donnerberg war härter als alles, was sie im Leben bisher hatte leisten müssen. Frau Donnerberg war streng und sie wusste, wenn sie die heutigen Aufgaben nicht zur Zufriedenheit ihrer Dienstherrin erledigte, gäbe es einen weiteren Beschwerdebrief an ihre Eltern. Wenigstens knurrte ihr heute nicht der Magen, da ihre Freundin Marie am Nachmittag heimlich etwas Brot und Schinken vorbeigebracht hatte. Annas Essensrationen waren karg. Zwar hätte Herr Donnerberg ihr gerne mehr gegeben, doch seine Frau war der Meinung, dass Anna als fettes Dienstmädchen noch weniger tauge. Ihre Freundin Maria war als Dienstmädchen beim Schlachtermeister nebenan beschäftigt und bekam so viel zu essen, dass sie Anna immer wieder heimlich etwas zustecken konnte.
Anna konnte kaum die Augen offenhalten, als sie ihr Schlaflager vor dem Ofen in der Küche zurechtmachte. Das Feuer war fast heruntergebrannt. Sie hätte gerne eine Kammer gehabt, mit einem Bett so wie früher auf dem Hof ihrer Eltern. Heute Abend jedoch war sie so müde, dass sie auf dem harten Boden ebenso gut schlafen würde wie anderswo. Sie war im Begriff sich ihrer Kleider zu entledigen, als es plötzlich an die Hintertür klopfte. Anna erschrak. Durch die Scheiben erkannte sie Wilhelm und im selben Moment lief es ihr eiskalt den Rücken herunter. Marie hatte ihr den Schlachtergesellen Wilhelm Stapler vorgestellt, in den ihre Freundin verliebt war. Daraufhin wurde die Sache schwierig, denn Wilhelm verliebte sich in Anna und stellte ihr fortan nach. Zuerst war ihr Marie deswegen böse gewesen, doch schließlich erkannte sie, dass ihre Freundin die Zuneigungen Wilhelms nicht erwiderte und so hoffte Marie insgeheim darauf, dass Wilhelm sich schließlich doch noch für sie entschied. Anna mochte Wilhelm nicht. Er machte ihr Angst. Und nun stand er vor der Hintertür. Nicht genug, dass Anna von dieser bleiernen Müdigkeit befallen war, nahm sie bei Wilhelm wieder diesen entrückten Blick wahr. Es war, als läge ein Schleier über seinen Augen.
Wilhelms erneutes Hämmern gegen die Tür riss Anna aus ihrer Starre. Wenn Frau Donnerberg das hörte, kam sie womöglich aus dem Schlafzimmer gelaufen, um nachzuschauen. Eine Schimpftirade wäre am heutigen Abend jedoch zu viel für Anna gewesen. Verzweifelt öffnete sie die Tür einen Spalt. „Wilhelm, du musst gehen, Frau Donnerberg … wenn sie dich hört …“ Weiter kam Anna nicht, zu groß war ihre Angst vor jedem weiteren Wort, das ihre Herrin aufwecken könnte. Doch Wilhelm dachte nicht daran, sich von Anna abwimmeln zu lassen. Heute Abend nach einem großen Schluck Schnaps wusste er, was zu tun war. Er zog die Pistole aus der Tasche und zielte damit auf Anna, denn heute würde er tun, was er sich schon so lange vorgenommen hatte.
Annas Körper erstarrte. Der Türknauf rutschte ihr aus der Hand. Wilhelm nutzte diese wertvollen Sekunden und stemmte sich gegen die Tür. Sie krachte auf. Anna wusste nicht, ob sie mehr Angst vor den Konsequenzen einer in die Küche rennenden Frau Donnerberg hatte oder vor Wilhelm. Anna wollte schreien, denn so käme ihr hoffentlich ihr Dienstherr zur Hilfe, auch wenn das bedeutete, dass er seine Frau womöglich im Schlepptau hatte. Anna öffnete den Mund und erkannte im selben Moment, dass auch er gegen Wilhelms Waffe nichts würde ausrichten können und so versuchte sie, sich zu beruhigen. Wilhelm erschrak, als er bemerkte, dass er Anna Angst machte. „Meine liebste Anna“, sagte er und senkte die Waffe, „fürchte dich nicht. Dir soll diese Waffe keinen Schaden zufügen. Sie dient allein der Donnerberg, die nie wieder das Wort gegen meine Braut erheben soll.“ Anna lief es eiskalt den Rücken runter. Wilhelm sprach indes weiter: „Wenn du erst meine Frau bist, dann werde ich dafür sorgen, dass du eine Anstellung in einer Fabrik findest. Dort bekommst du besseren Lohn. Und wir werden Kinder haben und eine kleine Wohnung. Ach Anna, ich werde gut für dich sorgen, wenn du erst meine Frau bist.“ Anna wusste nicht, was ihr mehr Angst machte, dass Frau Donnerberg nach unten käme und sie bestrafte, dass Herr Donnerberg die Küche beträte und ihn eine Kugel träfe, dass Sie selbst getroffen werden könnte oder dass Sie den Rest ihres Lebens an der Seite dieses Mannes verbringen müsste.
Wilhelm fuchtelte wieder mit der Waffe vor seiner Brust herum. Annas Starre löste sich und sie rannte panisch durch die Hintertür in den Garten. Sie wollte bloß weg. Plötzlich hörte sie einen Knall. Etwas hatte sie getroffen. Dennoch rannte sie weiter. Wilhelm folgte ihr und schrie: „Bleib stehen, Anna! Ich liebe dich!“ Doch Anna konnte nicht stehen bleiben. Die nächsten Worte Wilhelms brannten sich tief in ihr Gedächtnis: „Wenn ich dich nicht besitzen kann, so soll es auch niemand anders.“ Er wurde langsamer, nahm die Waffe hoch und drückte erneut ab. Wieder traf Anna etwas. Sie sackte zusammen und röchelte.
Wenig später traf der Polizei-Offiziant ein. Ein Arzt versorgte bereits Annas Wunden und versuchte die panische Marie zu beruhigen, die aus dem Fenster beobachtet hatte, wie Anna zusammengebrochen und Wilhelm weggerannt war. Der Polizei-Offiziant fand Wilhelm wenig später im Garten des Zigarrenfabrikanten. Er hatte sich zweimal sein Schlachtermesser, das er stets bei sich führte, kräftig in die Brust gerammt und weil dies nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte, mit seinem Taschentuch in einem Baum erhängt.
Die Zeitungsartikel

Berliner Gerichtszeitung. Criminal-, Polizei- und Civil-Gerichtspflege des In- und Auslandes, verbunden mit politischer Rundschau und einem Feuilleton, 18. Jahrgang, Dienstag 5. April 1870. (Link zum Digitalisat in Google Books)

Osnabrückische Anzeigen. 1870 (April-Juni) Zeitung und amtlicher Anzeiger der Landrostei Osnabrück. Osnabrücker Staatsarchiv, Signatur: NLA OS, Slg 100 I, Nr. 329

Allgäuer Volksblatt. Kempten, Nr. 85, Freitag 15. April 1870. (Link zum Digitalisat in Google Books)

Quelle: Oberpfälzische Blätter für Sonn- und Feiertags-Unterhaltung. Beiblatt zur Amberger Volkszeitung, Nr. 18, Amberg 17. April 1870. (Link zum Digitalisat in Google Books)
Mehr zu meinem Schreibkurs findet ihr in hier: https://zeitreisenzauber.de/2023/05/22/der-schreibkurs-gute-oder-schlechte-entscheidung/
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