Nach dem Anruf der alten Dame vor einigen Wochen habe ich mir Gedanken gemacht, worüber ich meinen nächsten und für diesen Blog ersten historischen Artikel schreiben möchte. Als ich vor ein paar Tagen in meiner Mittagspause am Osnabrücker Rathaus vorbeikam und dort an der Fassade die Figuren gesehen habe, war die Idee zu diesem Artikel geboren. Als Osnabrückerin kenne ich das Rathaus, doch welche Persönlichkeiten in den Figuren dargestellt sind, wusste ich nicht. Mein Wissen beschränkte sich darauf, dass es Kaiserfiguren sind, die hier Ihren Blick auf den Marktplatz richten.
Während ich also an dem Artikel schrieb, las ich parallel das Buch „die Macht Zentrale“ von Vera Steinhäuser und fast wäre der Artikel, den ihr hier lest, nicht entstanden, denn dort heißt es auf Seite 81: „Wenn wir uns auf Sightseeing-Tour begeben, sehen wir kaum weibliche Statuen. […] In Lehrbüchern auf der ganzen Welt zeigt sich, dass wir es mit einer männlichen Geschichtsschreibung zu tun haben, einer Aufarbeitung aus der männlichen Perspektive.“ Und um es vorwegzunehmen, auch an der Osnabrücker Rathausfassade stellen alle Figuren Männer da und so fragte ich mich, ob es nicht an der Zeit wäre, als Frau und Historikerin über Frauen zu schreiben. Denn, so heißt es weiter in dem Buch: „Fehlende Repräsentanz führt zu einer einseitigen Perspektive, zu einem Ausklammern anderer Wahrnehmungen und Weltbilder.“ Um das einmal in Zahlen auszudrücken: Unter 10 Prozent der Denkmäler repräsentieren Frauen. Allein von Bismarck gibt es in Deutschland um die 700 Denkmäler, während alle Frauendenkmäler zusammen um die 200 sind.
Ich habe für mich beschlossen, dass ich diesen Artikel zu Ende schreibe und hier veröffentliche. Gleichzeitig ist dies für mich ein Startschuss mehr über Frauen und ihre Geschichte zu erzählen.
Das Neue Osnabrücker Rathaus
Bevor wir nun zu den Kaiserfiguren an der Osnabrücker Rathausfassade kommen, möchte ich euch einen kleinen geschichtlichen Abriss zum heutigen Rathaus geben.
Der Marktplatz in seiner heutigen Form entstand um 1500 und liegt westlich des Dombezirkes. Hier wurde zwischen 1487 und 1512 das sogenannten Neue Rathaus errichtetet, welches den Mittelpunkt der Bürgerstadt bildete.
Das sogenannte Alte Rathaus findet bereits 1244 Erwähnung, wurde jedoch den Ansprüchen der politischen Elite Mitte des 15. Jahrhunderts nicht mehr gerecht, obwohl es „noch voll funktionsfähig“ war. Auch umliegende Städte führten Um- und Neubauten ihrer Rathäuser durch, um ihrer politischen Machtstellung Ausdruck zu verleihen. Die Figuren an den Rathausfassaden in Osnabrück und anderswo hatten dabei einen wichtigen politischen Aussagewert.
Mitte des 15. Jahrhunderts war die wirtschaftliche und politische Lage der Stadt gut und so entschied der Osnabrücker Rat, den bürgerlichen Bereich der Stadt neu zu gestalten. 1477 begannen die Planungen zum Neuen Rathaus. Für die Neugestaltung des Marktplatzes als Vorbereitung für den Rathausneubau wurden Marktbuden und Häuser abgerissen und der Friedhof der Marienkirche verlegt. Damit wurde der Marktplatz topografisch im Wesentlichen so gestaltet, wie wir ihn heute kennen. Die Fassade war dem Marktgeschehen zugewandt und erhielt damit die gewünschte repräsentative Macht. 1487 war die Grundsteinlegung für das Neue Rathaus. Fertiggestellt wurde es jedoch erst 1512. Grund für die lange Bauzeit waren aufgekommene finanzielle Engpässe und soziale Konflikte.
Das Alte Osnabrücker Rathaus war nicht abgerissen worden, sondern behielt einen Teil seiner Funktion. So blieb ihm beispielsweise seine Aufgabe als Verkaufshalle erhalten. Das Neue Rathaus war ein städtischer Repräsentationsbau, in dem Urkunden, Privilegien, Wertgegenstände und der Ratsschatz gelagert wurden. Zudem wurde von hier aus Recht gesprochen.
Wahrscheinlich ist das Osnabrücker Rathaus den meisten Menschen wegen seines Anteils am Westfälischen Friede bekannt, da hier 1648 die letzten Verhandlungen stattfanden und von eben jener Rathaustreppe am 25. August 1648 der Frieden verkündet wurde.
Das Neue Rathaus ist in seiner Gestalt bis heute erhalten geblieben, da es nach seiner Zerstörung am 13.09.1944 wieder so aufgebaut wurde, wie es vor dem Krieg ausgesehen hatte. Die Figuren waren bei dem Luftangriff nicht zu Schaden gekommen und wurden im Zuge des Wiederaufbaus des Rathauses im August 1948, wie die gesamte Rathausfront auch, gereinigt.
Die Figuren an der Osnabrücker Rathausfassade
Heute finden sich an der Osnabrücker Rathausfassade neun Figuren: vier rechts, vier links sowie eine über dem Eingang ins Rathaus. Ursprünglich waren auch Figuren seitlich und innerhalb des Rathauses geplant, sodass vermutlich 22 Figuren angedacht waren. Darunter fanden sich vermutlich auch die „Neun guten Helden“, die an Rathäusern seit der Goldenen Bulle von 1356 verwendet wurden und als Vertreter des Rechts und des gerechten Regiments ein Zeichen der städtischen Gerechtigkeit waren.
Vermutlich hatte man in Osnabrück um 1500 schon Figuren geplant, die aber nicht oder nur zum Teil ausgeführt wurden. 1846 wurde das Rathaus restauriert und die hölzerne Freitreppe durch eine steinerne ersetzt. Vermutlich wurden in diesem Zuge alle Figuren bis auf die Portalfigur aufgrund ihres mittlerweile schlechten Zustands entfernt. Die heutigen Figuren an der Osnabrücker Rathausfassade stammen aus den 1880er Jahren. So wurde im Jahre 1880 die alte Portalfigur durch eine vom Osnabrücker Bildhauer Seling angefertigte neue Figur ersetzt. Die alte Figur kam ins Museum. Bei der alten, wie auch bei der neuen Portalfigur handelt es sich um Karl den Großen, der eine Sonderstellung für die Osnabrücker einnimmt, da er den Osnabrücker Bürgern als Gründer der Stadt gilt.
Die anderen acht Kaiserbilder wurden 1885 beauftragt und von namhaften, auswärtigen Künstlern gefertigt. Im Winter 1889/90 wurden sie angebracht. Die Steinfiguren sind ausnahmslos deutsche Kaiser, denen Osnabrück wichtige Rechte verdankte oder die sich der Stadt als großzügig erwiesen hatten.
Die acht Figuren (ohne Kaiser Karl der Große, der zu dieser Zeit bereits hing) waren ein Geschenk des preußischen Staates. So musste die Stadt lediglich für die Anbringung der acht Statuen aufkommen. Die preußischen Stifter leiteten aus dem jetzigen Figurenprogramm eine Ahnenreihe der Hohenzollernkaiser des wilhelminischen Reiches ab, sodass in der Auswahl der Figuren viel vom Zeitgeist des deutschen Kaiserreiches Ende des 19. Jahrhunderts enthalten ist. Auffällig ist, dass es keinen Kaiser aus der Zeit des Westfälischen Friedens gibt.
Die Figuren im Einzelnen:
Wer nun vor dem Rathaus steht und sich die Figuren von links nach rechts anschaut, dessen Blick fällt zuerst auf Kaiser Sigismund (1411-1437), der die bisherigen Rechte der Osnabrücker anerkannte und sie zu seinen Reichstagen 1415 und 1422 einlud. Rechts neben ihm steht Kaiser Friedrich II. (1215-1250), der sich mit dem Verkauf des halben Burggerichts durch den Bischof an die Stadt einverstanden erklärt hatte. Rechts neben Kaiser Friedrich II. findet sich Kaiser Rudolf von Habsburg oder Rudolf I. genannt (1273-1291), der es den Osnabrückern gestattete, einen zweiten Befestigungsring zu bauen, um die strohgedeckten Häuser der Osnabrücker so besser vor Brandfeilen zu schützen. Darauf folgt Kaiser Wilhelm I (1861-1888) als Begründer des neuen Reichs (Deutsches Kaiserreich von 1871-1918) und deshalb an der Fassade, weil er als „Schenkgeber“ galt. Als die Figuren 1885 in Auftrag gegeben wurden, lebte Kaiser Wilhelm I. noch. Als man die Figuren im Winter 1889/90 anbrachte, war er bereits seit über einem Jahr tot.
Es folgt die Portalfigur Karl der Große (768-814), der als Gründer des Bistums an der Hase gilt. Wiederum rechts daneben findet sich Friedrich Barbarossa (1152-1190), der das Befestigungsrecht und das jus non evocando aussprach. Letzteres garantierte den Osnabrückern, dass sie ausschließlich vor ihrem eigenen Gericht und dem Kaiser erscheinen brauchten. Die Bürger bekamen durch ihn das Recht selbst Gericht zu halten. Auf einer Durchreise nach Goslar hatte er Station in Osnabrück gemacht. Daneben findet sich Arnulf von Kärnten (887-899), der 889 dem Bischof erstmals die Rechte an Markt, Münze und Zoll übertrug. In der Regierungszeit Maximilian I. (1493-1519) wurde das Rathaus erbaut. Er war ein den Wissenschaften und Künsten gegenüber aufgeschlossener Herrscher und vom Gedankengut des Humanismus geprägt. Die Figur ganz rechts zeigt Ludwig IV. oder auch der Bayer genannt (1314-1347), der den Osnabrückern alle Rechte nochmals bestätigte.
Der eigentliche Blick des Betrachters sollte jedoch nicht von links nach rechts wandern, sondern über dem Portal mit Karl des Großen beginnen und dann jeweils von rechts nach links gehen. Denn umso weiter die Figuren in der Mitte sind, umso bedeutender waren ihre Taten für die Stadt Osnabrück. Und hierin sieht man den preußischen Anspruch, denn direkt rechts neben Karl dem Großen entdecken wir Kaiser Wilhelm I..
Literatur:
- Beek, Frauke / Schwyzer, Andrea: Frauendenkmäler sind unsichtbar, in NDR Kutur: Das Gespräch (Podcast vom 04.06.23, online unter: https://www.ndr.de/kultur/kunst/niedersachsen/Denkmaeler-Warum-Frauen-nur-selten-auf-dem-Sockel-stehen,denkmal540.html) (letzter Zugriff: 16.07.2023).
- Hoffmeyer, Ludwig: Chronik der Stadt Osnabrück, (6. Aufl. bearb. von Frank Henrichvark), Belm beim Osnabrück 1995.
- Karrenbrock, Reinhard: Die Bau- und Kunstdenkmäler im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Steinwascher, Gerd (Hg.): Geschichte der Stadt Osnabrück, Belm bei Osnabrück 2006, S. 267-312.
- Lindemann, Ilsetraud: In Erz gegossen. In Stein gehauen. Osnabrücker Denkmäler, Bramsche 1982
- Möller, Carl: Von Frieden und der Hanse. Was die Rathausfassade erzählt (Hg. v. Verkehrsverein Stadt und Land Osnabrück e.V.), Osnabrück.
- Oevermann, Michael: Das Rathaus zu Osnabrück und sein Figurenprogramm im Spiegel der sozialen Konflikte des Spätmittelalters, in: Held, Jutta (Hg.): Symbole des Friedens und des Krieges im öffentlichen Raum. Osnabrück, die „Stadt des Westfälischen Friedens“ (Schriften der Guernica-Gesellschaft. Kunst, Kultur und Politik im 20. Jahrhundert Bd. 5, hg. von Jutta Held), Weimar 1998, S. 23-46.
- Poeck, Dietrich W.: Osnabrück im späten Mittelalter, in: Steinwascher, Gerd (Hg.): Geschichte der Stadt Osnabrück, Belm bei Osnabrück 2006, S. 87-160.
- Stadt Osnabrück (Hg.): Das Rathaus des Westfälischen Friedens, online unter: https://friedensstadt.osnabrueck.de/de/die-friedensstadt-wo-frieden-geschichte-und-zukunft-hat/rathaus/ (letzter Zugriff: 12.07.2023).
- Steinhäuser, Vera: die Macht Zentrale. Ein Mutbuch für unerschrockene Frauen, die gestalten wollen, (1. Aufl.), (Wien 2023).
- Witte, Heinrich: Rathaus und Markt Osnabrück, 1. Aufl., München 1987.
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