Bis zur Rente gibt es nur die Arbeit!?

Neu: Eine Hörversion des Artikels:

Ihr Lieben, hier ist mein neuer Artikel. Und weil ich mich dieses Jahr ausprobieren möchte, findet ihr eine von mir gelesene Version bei YouTube. Nicht perfekt, aber ein Schritt raus aus der Komfortzone und mit jeder Menge Verbesserungspotential: Link zum Video Das Bellen, welches ihr im Hintergrund hört, ist unsere Mopsdame Wilma.

Und hier nun der Artikel für alle, die ihn lesen möchten:

Zehn Jahre ist es nun her, dass ich selbstständig war, meine eigene Geschichtszeitschrift herausgebracht habe, angefangen habe davon zu träumen, dass ich mit Schreiben und Ahnenforschung meinen Lebensunterhalt verdienen kann.

Doch zwischen 2013 und 2023 ruhte meine Geschichts- und Ahnenforschung fast vollständig, weil ich sehr viel gearbeitet habe. Nicht in dem Bereich, den ich immer für mich erträumt habe, sondern da, wo ich gebraucht wurde. Und auch heute bin ich da, wo ich gebraucht werde. Ich arbeite viel, ich arbeite hart und ich arbeite mehr, als mit guttut. Und während ich in den letzten Jahren täglich alles für den Job und die Menschen in meinem Umfeld aufgegeben habe, bin ich auf der Strecke geblieben. Ich fühle mich ausgebrannt, verloren und vielfach ausgenutzt. Ich habe so viel gegeben und so viele Arschtritte erhalten. Ich habe so viel in andere Menschen investiert, die sich abgewandt haben. Heute denke ich, dass ich mehr Zeit in mich hätte investieren sollen, in meine Träume, meine Ziele und meine Wünsche.

Und trotzdem gehe ich jeden Tag arbeiten. Investiere mehr Zeit und Kraft in den Job als mir gut tut, komme nach Hause und brauche nur noch etwas zu essen und mein Bett. Nach dem langen Tag bin ich so leer, dass ich nur noch schlafen möchte. Und schon am nächsten Tag beginnt das Hamsterrad von vorn.

Seit zehn Jahren spüre ich diesen drängenden Wunsch zu schreiben, solange ich mich erinnere, arbeite ich von früh bis spät und zum Schreiben bin ich oft zu müde. In den letzten 4 Jahren sind so viele wunderbare Menschen aus meinem Umfeld gestorben, die alles auf die Rente verschoben haben. Die so gelebt haben, wie meine Eltern es mir beigebracht haben: Heute wird hart gearbeitet, leben kannst du, wenn du in Rente bist.

Dazu habe ich ein wunderbares Zitat gefunden, welches ich hier mit euch teilen möchte:
Kommt Zeit, kommt Rente,
kommt Rente, geht Zeit.1Manfred Hinrich (1926 – 2015), Dr. phil., deutscher Philosoph, Philologe, Lehrer, Journalist, Kinderliederautor, Aphoristiker und Schriftsteller.
Diese Erfahrung hat mein Vater machen müssen. Kaum war er in Rente, war seine Zeit fast abgelaufen. Kaum war er in Rente, wurde er krank und starb. In den vier zurückliegenden Jahren habe ich neben meinem Vater noch viele weitere Menschen der gleichen Generation gesehen, die es entweder nicht bis zur Rente geschafft haben oder kurz nach Erreichen des Renteneintritts krank geworden oder gestorben sind. Diese Menschen haben ihre ganze Lebenszeit darin investiert, dass sie irgendwann einmal Zeit haben werden, doch ist dieser Zeitpunkt nie gekommen. Meine Antwort auf das Zitat oben lautet somit:
Nimm dir heute die Zeit,
da du nicht weist,
wieviel Zeit,
dir am Tag des Renteneintritts bleibt oder ob du ihn überhaupt erlebst.2Meine Antwort auf das Zitat von Manfred Hinrich

Und so stehe ich da mit meinen Glaubenssätzen, die mich jeden Tag auf die Arbeit prügeln und mich so hart arbeiten lassen, dass ich abends wie Tod ins Bett falle. Was ist, wenn auch ich irgendwann keine Zeit mehr habe, um mir Zeit für meine Träume und Wünsche nehmen zu können? Da ist doch in mir diese Vision, die ich täglich vor Augen habe: Ich sitze in der Rundsitzgruppe meines Wohnmobils auf der Reise durch England, Schottland, Skandinavien, Litauen auf den Spuren meiner Vorfahren und recherchiere, lese und schreibe. Ich habe für diesen Traum noch nicht die finanziellen Mittel, noch nicht das geeignete Wohnmobil, wir haben noch nicht die richtigen Führerscheine und wir haben dafür noch nicht einmal genug Urlaub. Aber ich weiß, dass ich diese Vision in die Realität umsetzen muss. Das ist das, was mich antreibt und was nicht bis zur Rente warten kann.

Und dann lese ich mich durch die Nachrichten und stoße auf folgende Aussage des Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchentages Thomas de Maizière:
„Die Menschen müssten länger, mehr und auch „besser“ arbeiten, betonte der frühere CDU-Bundesminister auch mit Verweis auf asiatische Länder. Ansonsten „werden wir nach unten durchgereicht als Land. […]“ […].“3Thomas de Maizière, Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages, gegenüber dem Deutschlandfunk; zitiert nach: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/thomas-de-maiziere-arbeit-home-office-100.html (letzter Zugriff: 11.06.2023) Außerdem lese ich da: „Wir müssen mehr ans Gemeinwohl denken.“4Ebd. Und ich frage mich, ob ich mich angesprochen fühlen soll. Ich denke immer wieder, dass er mich gar nicht meinen kann, denn ich arbeite schon lange, viel und gut. Aber auch ich habe einige Jahre Teilzeit gearbeitet, auch ich möchte nicht länger arbeiten als 65 und ich finde, dass mein Beitrag zum Allgemeinwohl ausreichend ist. Und während ich so bis zur Rente arbeite und dann wohl über die Rente hinaus, frage ich mich, ob nicht irgendwann einmal der Tag kommt, an dem auch ich mal Leben darf (abgesehen von 30 Tagen Urlaub und Wochenenden)? Und ich werde sauer! Was nimmt der sich eigentlich heraus? Wir sollen also alle länger, besser und mehr arbeiten, damit das System funktioniert? Das System, für welches ich in eine Rentenkasse einzahle, von der ich wahrscheinlich nie etwas bekommen werde? Danke! Nein!

Ich werde auch morgen wieder arbeiten gehen und damit zum Allgemeinwohl beitragen, aber noch mehr, noch härter und noch länger? Meine Angst ist, dass ich mir in der letzten Minute meines Lebens eingestehen muss, dass ich immer hart und viel gearbeitet habe und das das in meinem Leben alles war. Das ich meine Vision vom Leben nicht gelebt habe. Jede vergangene Sekunde meines Lebens wird nicht wiederkommen und ist unwiederbringlich verloren. All die Menschen, die ich in den letzten 4 Jahren gehen lassen musste, werden nie wiederkommen. Die Zeit, die ich nicht mit diesen Menschen verbracht habe, weil ein mich anbrüllender Kunde wichtiger war, diese verlorene Zeit bekomme ich nicht wieder. Lieber Herr de Maizière ich bezweifel, dass Arbeitszeit das Einzige ist, was wir ins Allgemeinwohl investieren können. Und deswegen habe ich heute meine Kraft und meine Zeit für diesen Artikel verwandt, denn diese Zeilen sind Teil meiner Vision für mein Leben.

Die Aussagen von Thomas de Maizière habe ich aus folgendem Artikel: Kritik an neuen Arbeitsmodellen – De Maizière: „Wir müssen alle mehr arbeiten“ (letzter Zugriff: 11.06.2023)

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