Der Anruf der alten Dame - und die Frage, warum ich historische Artikel nur für die Schublade schreibe

Der Anruf der alten Dame

– und die Frage, warum ich historische Artikel nur für die Schublade schreibe.

Manchmal passieren Dinge im Leben, die etwas in einem bewegen, was man nicht greifen kann. Für mich gab es in dieser Woche so ein Erlebnis, von dem ich euch an dieser Stelle berichten möchte:

Anfang dieser Woche bekam ich einen Anruf von meiner Mama – und um es vorwegzunehmen, sie ist nicht die alte Dame, um die es in diesem Artikel gehen soll. Also … es kommt da dieser Anruf meiner Mama, die mich fragt, ob ich die alte Dame kenne, deren Name hier nichts zur Sache tut. Diese Dame habe bei meinem Bruder in der Firma angerufen und nach der Frau gefragt, die vor Jahren über eine Schokoladenfabrik geschrieben habe. Da die Dame meine Kontaktdaten nicht mehr hatte, jedoch wusste, dass sie über die Firma meines Bruders vielleicht Kontakt zu mir bekommt, hatte sie es auf diesem Wege versucht. Der Kontakt landete bei meiner Mama, die zwar nie einen historischen Artikel veröffentlichte, jedoch näher am Alter der Dame ist.

Meine Mama fragte mich nun also, ob ich diese Dame kenne, und ich wusste sofort, von wem sie sprach. Ich werde nie vergessen, wie ich die Seniorchefin einer großen Firma vor Jahren zuhause besuchte, wie schön es war, mit ihr und ihrem Mann zusammen zu sitzen und mir die alten Geschichten über ihre Firma anzuhören. Hier ging es zwar nicht um die Schokoladenfabrik, aber um eine spannende Geschichte aus früheren Zeiten. Oft habe ich in den letzten Jahren an diesen Nachmittag gedacht. Doch war mir nicht bewusst, dass auch die alte Dame öfter an mich gedacht hatte. Doch eins nach dem anderen, noch telefoniere ich mit meiner Mama.

Meiner Mama war sofort klar, dass nicht sie die gesuchte Person ist, sondern ihre Tochter und gibt mir die Kontaktdaten weiter. Ich notiere sie, lege sie auf meinen Schreibtisch und muss sie dort erstmal 2 Tage liegenlassen. Ich kann mir nicht vorstellen, warum die Frau mich sucht. Und was soll ich ihr auch sagen, wenn ich sie anrufe. Als ich die alte Dame damals traf, war ich selbstständig, hatte die erste Ausgabe meiner Geschichtszeitschrift rausgebracht. Ich hatte damals voller Begeisterung an meinen Projekten gearbeitet und an den Traum dieser Selbstständigkeit geglaubt. Wenn ich sie jetzt anriefe, müsste ich ihr sicher erzählen, dass es bei dieser einen Ausgabe geblieben war, dass ich gescheitert bin, dass alles nicht mehr als das Projekt einer Träumerin war und das ich versagt hatte. So jedenfalls fühlt es sich immer noch an und auch wenn ich heute weiß, dass die meisten Selbstständigen immer wieder gescheitert sind. Doch ich muss zugeben, dass ich nicht wieder aufgestanden bin und es nicht erneut versucht habe. Ich habe meinen Traum begraben und traue mich heute nicht einmal, meine historischen Artikel auf diesem Blog zu veröffentlichen.

Nach 2 Tagen also nahm ich allen Mut zusammen und rief die alte Dame an. Kaum begann es zu klingeln, schon ging sie ans Telefon und ich konnte nicht mehr zurück. Sie freute sich über meinen Anruf, sagte mir, dass sie die letzten Jahre seit unserem Treffen immer wieder an mich gedacht habe und sie fragte mich, ob ich noch schreibe. Ich wusste, dass die Frage kommt, und doch war ich nicht darauf vorbereitet. Was sollte ich nun sagen? Ich entschied mich für die Wahrheit, denn zum einen ist das eh der beste Weg und zum anderen verdiente eine so nette Frau, die sich soviel Mühe gemacht hatte, Kontakt zu mir aufzunehmen, auch nichts anderes. Ich sagte, dass ich meine Selbstständigkeit aufgeben habe, dass ich nun nicht mehr als Historikerin arbeite, dass ich schließlich von irgendwas leben müsse und dass ich nur noch zum Hobby für mich schriebe. Dass ich nichts mehr veröffentliche, sondern meine Artikel nach Fertigstellung in eine Schublade wandern. Was ich an dieser Stelle verschwieg, ist, dass ich mich nicht traue, etwas zu veröffentlichen, weil ich denke, dass meine Texte nicht gut genug sind. Dass ich Angst habe, etwas zu veröffentlichen, weil mich dies an meine gescheiterte Selbstständigkeit erinnert. Sie erwiderte, dass sie es schade fände, dass ich nur für die Schublade schriebe. Sie mochte meine Arbeit.

Wir sprachen noch einige Minuten weiter und am Ende des Telefonats versprach ich, dass ich noch einmal darüber nachdenke, ob ich nicht doch wieder Texte von mir veröffentliche. Und schließlich schreibe ich jetzt Artikel wie diesen hier, Artikel aus meinem Leben, um schließlich wieder den Mut zu finden, historische Artikel von mir zu veröffentlichen. Tatsächlich fallen mir diese Artikel aus meinem Leben einfacher, da sie nicht zu etwas gehören, was ich studiert habe. Sie brauchen keinem wissenschaftlichen Anspruch genügen.

Nun denke ich seit Tagen über das Gespräch mit der alten Dame nach. Erinnere mich an viele Gespräche mit meinen Geschichtsprofessorinnen und Geschichtsprofessoren, die meine Uniarbeiten entweder liebten oder hassten. Was dazwischen gab es eigentlich nicht. Die einen mochten die Texte, weil ich ein Schreibtalent hätte, und es schaffe, wissenschaftliche Texte zu schreiben, die man gerne liest. Die anderen hassten meine Texte, weil ich wissenschaftliche Texte schrieb, die jedermann verstehen konnte und nicht nur die wissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen.

Ich denke also seit jenem Telefonat in dieser Woche darüber nach, die Texte aus meiner Schublade zu holen und endlich mit deren Veröffentlichung zu beginnen. Schließlich war das die eigentliche Idee, als ich diesen Blog startete.

Nun habe ich mir in den letzten Tagen ein paar Gründe überlegt, warum ich unbedingt wieder historische Texte veröffentlichen sollte:

  1. Ich hatte im letzten Artikel geschrieben, dass ich mich mit 40 Jahren nicht mehr bewerten lasse. Und wenn doch jemand meine Texte doof findet (und das passiert garantiert), kann es mir egal sein. Ich muss von meinen Artikeln weder leben, noch muss sie jemand lesen. Wer möchte, kann sich einen anderen Blog suchen und dort Artikel konsumieren.
  2. Wenn ich nur einer Leserin oder einem Leser mit diesen Texten eine Freude mache, dann sollte dies Grund genug sein.
  3. Und wenn die Artikel am Ende niemand mag, dann hatte ich wenigstens Spaß beim Schreiben und veröffentlichen.

Habe ich also etwas zu verlieren? Nein! Habe ich etwas zu gewinnen? Ja, ich kann meine Leidenschaft wieder aufnehmen und schreiben.

Jetzt mag es den einen oder anderen geben der oder die sagt, dass wenn es nur ums Schreiben geht, dann kann ich auch für meine Schublade schreiben. Und da hat er oder sie recht. Doch wenn ich mir noch etwas wünschen darf, dann wäre da noch etwas: Ich würde gerne mit anderen in Kontakt treten und mich austauschen. Und vielleicht kennt der eine oder andere da draußen noch Geschichten, von denen sie oder er berichten mag und über die ich schreiben darf. Alles das passiert aber nur, wenn ich auch veröffentliche.

In diesem Sinne möchte ich diesen Artikel jetzt schließen, denn ich muss schnell zu meiner Schublade und schauen, welche Schätze dort schlummern. Schließlich wäre es an der Zeit, sich die Artikel vorzunehmen, ggf. zu überarbeiten und hier zu veröffentlichen.

Zu guter Letzt möchte ich mich bei der netten Dame entschuldigen, die ich hier als alt betitelt habe. Es ist liebevoll gemeint und deswegen möge sie mir dies verzeihen, sollte sie diesen Blogbeitrag je lesen.

Kommentare

9 Antworten zu „Der Anruf der alten Dame“

  1. Steffi

    Ein sehr offenes Schreiben ,das finde ich sehr mutig ,ich bin beeindruckt . Und ja schreibe auf jeden Fall weiter und lasse dich da nicht beirren.
    Gruß steffi

    1. Carina Liekam

      Vielen Dank für deinen Kommentar. Für mich ist das Schreiben auf diesem Blog und die Reaktionen darauf eine Art „Therapie“. Seit Jahren Träume ich davon, wieder zu veröffentlichen, seit Jahren mache ich immer wieder einen Rückzieher, weil ich denke, dass meine Artikel und ich nicht gut genug sind. Mit diesem Blog möchte ich mir nun Mut „anschreiben“, mein Traum vom Schreiben und Veröffentlichen umzusetzen. Deswegen aus tiefstem Herzen vielen Dank für deinen Kommentar!

  2. Monika Rolfes

    Liebe Carina, ich schreibe hier im DU obwohl wir uns noch nicht persönlich kennen gelernt haben und hoffe das ist in Ordnung.
    Ich finde diesen Artikel wunderschön und bin überrascht 😮 denn diese Seite kannte ich noch gar nicht.
    Die Idee finde ich überragend und ich würde gerne deine Artikel lesen und dann sicherlich auch vieles besser verstehen können, denn ich habe nicht Geschichte studiert. Ich habe tatsächlich überhaupt nicht studiert 🤷🏽‍♀️ es bringt die Menschen vielleicht näher zusammen? Ich glaube alles was für mehr Toleranz und Verständnis für einander sorgt, sollte veröffentlicht und gesagt/geschrieben werden. Ich bin schon jetzt ein Fan 🥳☺️🙋🏽‍♀️

    1. Carina Liekam

      Liebe Monika,
      aus tiefstem Herzen vielen Dank für deine zahlreichen Kommentare! Gerne per du, ich freue mich! Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen und lebe noch immer in einem Umfeld, in dem Geschichte keine Rolle spielt. Mein Umfeld hat mir immer wieder gesagt, dass Geschichte nicht wichtig ist und das sie doch eh niemanden interessiert. Umso schöner sind die Reaktionen hier auf dem Blog und dein Satz, dass Geschichte vielleicht helfen kann, Menschen näher zusammen zu bringen. Ich denke das auch und finde es schön, mit dieser Idee nicht alleine zu sein. Es freut mich, dass du schon jetzt ein Fan bist! Kommendes Wochenende ist Ostern. Das lange Wochenende möchte ich gut nutzen, damit es hier den ersten historischen Artikel gibt. Ich bin bespannt auf die Reaktionen und würde mich über dein Feedback freuen.
      Liebe Grüße
      Carina

  3. Monika Rolfes

    Ach ja… und jeder kennt doch das Gefühl dieses oder jenes nicht gemacht, nicht geschafft zu haben. Gescheitert zu sein, versagt zu haben. Und das darf so sein. Und wir dürfen jeden Tag neu wählen und neu starten. Auch das zu sehen und zu erleben tut gut und macht Mut 😍🚀🍀💫

    1. Carina Liekam

      Du hast so recht! Jetzt in meiner zweiten Lebenshälfte denke ich, dass es schade wäre, wenn ich am Ende meines Lebens sagen müsste: Ich war immer fleißig, ich habe immer gearbeitet und alles gemacht, was von mir verlangt wurde. Nur meine Träume und Wünsche habe ich nicht gelebt. Ich denke heute, dass es schade wäre, wenn ich meine Wünsche und Träume aufgebe, nur weil ich einmal versagt habe, weil ich einmal gescheitert bin.

  4. Julia

    Oh ja, bitte gerne weiter schreiben und auch (hier oder an anderer Stelle) veröffentlichen!

    Vielen Dank für den Einblick!

    1. Carina Liekam

      Hallo Julia,
      von Herzen Danke für deinen Kommentar. Ich möchte das Osterwochenende nutzen und meinen ersten historischen Artikel veröffentlichen. Wenn du magst, komme also gerne wieder.
      Liebe Grüße
      Carina

  5. […] dem Anruf der alten Dame vor einigen Wochen habe ich mir Gedanken gemacht, worüber ich meinen nächsten und für diesen Blog […]

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